3. April 2008
Umlaute

Haben Sie schon mal versucht, einem Ausländer die deutsche Sprache näher zu bringen? Eine Katastrophe.

Wir deklinieren: z.B. "die Frau". Genitiv/Dativ: "der Frau". - Bitte? Ich dachte immer, die Frau sei weiblich?

Das Mädchen und sein Hund. - Was? Wessen Hund?

Wir konjugieren:
gehensehenkaufenlaufen
ich geheich seheich kaufeich laufe
du gehstdu siehstdu kaufstdu läufst
Mal wechseln die Vokale, mal nicht. Aber wann, nach welcher Regel?

Oder "das Obst" und "das Gemüse" gibt es nur in der Einzahl, obwohl es logisch Mehrzahl ist. Die Höflichkeitsform existiert nur in der Mehrzahl (Kommen Sie bitte, trinken Sie Kaffee?), obwohl sie fast immer in der Einzahl gebraucht wird.

Die Ungereimtheiten in der Grammatik sind endlos, von der Rechtschreibung ganz zu schweigen. Sie denken, da müsste mal richtig aufgeräumt werden? Aber das hatten wir doch gerade erst.

Eine Reform war das nicht. Eher das Ergebnis eines aussichtslosen Kampfes gegen die lieb gewordenen Gewohnheiten von 100 Millionen Menschen.

altneu
der Stengelder Stängel (kommt von Stange, kleine Stange)
die Elterndie Eltern (weil sie älter sind)

Man stelle sich den nächsten "Älternabend" vor. Ein Sturm der Entrüstung würde losbrechen, dagegen sind bayerische Klassenzimmerkreuze nichts.

Also, wo anfangen und wo aufhören?

Schwierig, sehr schwierig. Aber eine große Chance ist ohne Diskussion von vornherein vergeben worden - die Abschaffung der Umlaute. Das hätte in unserer deutschen, globalisierten Welt wirklich was gebracht.

Ich, Jürgen Gärtner, Umlautgeschädigter, hätte das voll und ganz unterstützt. Und die Österreicher sicher auch. Selbst Goethe hat das vor 200 Jahren schon erkannt.

Dabei bin ich kein militanter Reformer. Ich setze mich nicht für die allgemeine Kleinschreibung ein. Würde ja auch gar nicht gehen, z.B. "der gefangene floh".

Aber wozu diese Umlaute?

Wir haben im Deutschen so viele Bigramme, da käme es auf vier mehr oder weniger weiß Gott nicht an. Es gibt zum Beispiel folgende Tupel:
{eu, ei, ay, ey, ie, st, sp, ng, ck, ch, qu}. Wir kennen sogar ein Tripel: {sch}. Doppelvokale verlängern deren Wirkung während Doppelkonsonanten diese verkürzen oder härter machen. Zudem haben sie meist Einfluss auf den führenden Vokal, so dass weitere Trigramme entstehen.

Beispiel:
weben (sprich weeben)wetten (sprich wätten)

"ch" als Konsonant kann alles Mögliche sein, z.B. in "ich" oder anders in "ach". Am Wortanfang ist "Ch" angeblich undeutsch und so mancher Zeitgenosse hat seine Schwierigkeiten damit, z.B. "China" oder "Chemie". Komischerweise sind sich beim "Chef" wieder alle einig.

Wir stellen fest, dass wir für all die Laute, die geschrieben werden müssen, zu wenig Buchstaben haben und deshalb zu Bi- und Trigrammen greifen. Andererseits verschwenden wir zwei Buchstaben für ein und denselben Laut, z.B. {f, v} oder {ih, ie}. Wozu haben wir in der deutschen Schriftsprache ein "Y"? Ist das Ypsilon ein Vokal?

Nun kann mir bitte einer erklären, warum es nicht zumutbar war, anstelle von Umlauten ae, oe, ue und ss zu schreiben. Ganz im Gegenteil, die Sprachreformer haben sogar dem scharfen S (oder Eszett) eine eindeutige semantische Regel gegeben, die zwar schön ist, aber dessen Abschaffung für die Zukunft erschwert. ß verfügt jetzt, dass der führende Laut lang gesprochen wird (z.B. Gruß, Fuß aber Kuss, Genuss).

Seit 15 Jahren schreibe ich in eMails prinzipiell keine Umlaute. Zuerst, weil es keine gab. Später, weil es keinen Grund gab, wieder welche zu schreiben. Wenn auch heute Umlaute mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig ankommen, gibt es keine Garantie dafür, dass meine Mail beim Empfänger so aussieht, wie ich sie geschrieben habe. Selbst wenn, gibt es sicher irgend einen Drucker im Firmennetz, der falsch konfiguriert ist und Umlaute verhunzt oder wegschmeißt. Oder sie gehen bei einer verkrypteten Speicherung verloren oder sonstwas. Kann mir keiner erzählen, dass er sowas noch nicht gesehen hat. Es funktioniert einfach nicht. Wie soll es auch? Umlaute existieren im Standard-7-bit-ASCII-Code nicht. Um sie dennoch nachträglich zu definieren, hat man sich im Laufe der Zeit einiges einfallen lassen.

DIN 66003 Umlaute wurden anstelle der eckigen und geschweiften Klammern definiert.
ISO 8859-1 Definiert die deutschen Sonderzeichen im Rahmen der nationalen Zeichensätze des ISO 8859.
Quoted-Printable Nur Nicht-ASCII-Zeichen, z.B. dt.Umlaute, definiert in ISO 8859-1, werden als Tripel kodiert.
Base64 Alle 8-bit-Zeichen des ISO 8859 werden auf eine gemeinsame Untermenge der ASCII-Zeichen reduziert.
MIME Multipurpose Internet Mail Extensions - Kodierungsverfahren der verwendeten Zeichensätze und Multimedia-Erweiterungen
Unicode Versucht, das bisherige Wirrwarr von Zeichensätzen aller Art zusammenzufassen.
UTF-8 Unicode-Kodierung, benutzt 1 Byte für ASCII oder 2 bis 4 Byte für Sonderzeichen
HTML Hypertext Markup Language - Sonderzeichen werden durch ein spezielles Quoting codiert, z.B. Ü für "Ü".

All diese Verfahren haben letztlich dazu geführt, dass sich die Vielfalt der Code-Umrechnungsvarianten und damit die Chance, dass was schief geht, erhöht hat. Man kann zwar heute davon ausgehen, dass ein Zeichen im Netz ordentlich transportiert wird und es beim Empfänger mit dem Code-Wert ankommt, den der Absender abgeschickt hat. Was der Empfänger aber daraus macht, bleibt weiterhin offen. Beispielsweise senden die tschechischen und slovakischen Fernsehanstalten in ihren elektronischen Programmzeitschriften (EPG) nationale Sonderzeichen. Das ist ihr gutes Recht, und es ist ihnen völlig egal, dass ein normaler Satellitenempfänger dafür Krikelkrakel ausgibt, weil er deren proprietäres Quoting nicht kennt.

Wo man auch hinschaut, es klemmt an allen Ecken und Enden. Mag einer einwenden, dass Internet-Web-Seiten selbstverständlich Umlaute können und SMS in Mobiltelefonen auch. Stimmt, aber da ist die Technologie auch 10 Jahre jünger. Und es klappt ja auch nicht. Wie war das bei ebay? Die Titelzeile darf keine HTML-Umlaute enthalten, sonst sieht sie vielleicht so aus:

Bürotür mit Zubehör

Dass das mit den Umlauten nichts wird, haben ein paar Programmierer bereits erkannt und das Problem auf ihre eigene Art kreativ gelöst. Hier ein paar Beispiele (alles schon gesehen):

Juergen Gaertner
Jurgen Gartner
J*rgen G*rtner
J[urgen G[artner
Jrgen Grtner
J rgen G rtner
Jürgen Gärtner

Die Chancen, Umlaute im Deutschen als veraltet oder unmodern zu erklären, standen Ende letzten Jahrhunderts, zu Zeiten der Diskussion um die Rechtschreibreform, nicht schlecht, denn es war die Zeit der Explosion des Internets. Wir sind beim Lesen von eMails, Formularen und Ausdrucken aller Art förmlich auf das Problem gestoßen worden. Trotzdem hat sich niemand ernsthaft Gedanken gemacht, Umlaute generell abzuschaffen.

Schade.