Umlaute
Haben Sie schon mal versucht, einem Ausländer die deutsche Sprache
näher zu bringen? Eine Katastrophe.
Wir deklinieren: z.B. "die Frau". Genitiv/Dativ: "der Frau". - Bitte?
Ich dachte immer, die Frau sei weiblich?
Das Mädchen und sein Hund. - Was? Wessen Hund?
Wir konjugieren:
gehen | sehen | kaufen | laufen |
ich gehe | ich sehe | ich kaufe | ich laufe |
du gehst | du siehst | du kaufst | du läufst |
Mal wechseln die Vokale, mal nicht. Aber wann, nach welcher Regel?
Oder "das Obst" und "das Gemüse" gibt es nur in der Einzahl, obwohl es
logisch Mehrzahl ist. Die Höflichkeitsform existiert nur in der Mehrzahl
(Kommen Sie bitte, trinken Sie Kaffee?), obwohl sie fast immer in der Einzahl
gebraucht wird.
Die Ungereimtheiten in der Grammatik sind endlos, von der Rechtschreibung
ganz zu schweigen. Sie denken, da müsste mal richtig aufgeräumt
werden? Aber das hatten wir doch gerade erst.
Eine Reform war das nicht. Eher das Ergebnis eines aussichtslosen Kampfes
gegen die lieb gewordenen Gewohnheiten von 100 Millionen Menschen.
alt | neu |
der Stengel | der Stängel (kommt von Stange, kleine Stange) |
die Eltern | die Eltern (weil sie älter sind) |
Man stelle sich den nächsten "Älternabend" vor. Ein Sturm der
Entrüstung würde losbrechen, dagegen sind bayerische
Klassenzimmerkreuze nichts.
Also, wo anfangen und wo aufhören?
Schwierig, sehr schwierig. Aber eine große Chance ist ohne Diskussion
von vornherein vergeben worden - die Abschaffung der Umlaute. Das
hätte in unserer deutschen, globalisierten Welt wirklich was
gebracht.
Ich, Jürgen Gärtner, Umlautgeschädigter, hätte das voll
und ganz unterstützt. Und die Österreicher sicher auch. Selbst
Goethe hat das vor 200 Jahren schon erkannt.
Dabei bin ich kein militanter Reformer. Ich setze mich nicht für die
allgemeine Kleinschreibung ein. Würde ja auch gar nicht gehen, z.B.
"der gefangene floh".
Aber wozu diese Umlaute?
Wir haben im Deutschen so viele Bigramme, da käme es auf vier mehr oder
weniger weiß Gott nicht an. Es gibt zum Beispiel folgende Tupel:
{eu, ei, ay, ey, ie, st, sp, ng, ck, ch, qu}. Wir kennen sogar ein Tripel:
{sch}. Doppelvokale verlängern deren Wirkung während
Doppelkonsonanten diese verkürzen oder härter machen. Zudem haben
sie meist Einfluss auf den führenden Vokal, so dass weitere Trigramme
entstehen.
Beispiel:
weben (sprich weeben) | wetten (sprich wätten) |
"ch" als Konsonant kann alles Mögliche sein, z.B. in "ich" oder anders in
"ach". Am Wortanfang ist "Ch" angeblich undeutsch und so mancher Zeitgenosse hat
seine Schwierigkeiten damit, z.B. "China" oder "Chemie". Komischerweise sind
sich beim "Chef" wieder alle einig.
Wir stellen fest, dass wir für all die Laute, die geschrieben werden
müssen, zu wenig Buchstaben haben und deshalb zu Bi- und Trigrammen
greifen. Andererseits verschwenden wir zwei Buchstaben für ein und
denselben Laut, z.B. {f, v} oder {ih, ie}. Wozu haben wir in der deutschen
Schriftsprache ein "Y"? Ist das Ypsilon ein Vokal?
Nun kann mir bitte einer erklären, warum es nicht zumutbar war, anstelle
von Umlauten ae, oe, ue und ss zu schreiben. Ganz im Gegenteil, die
Sprachreformer haben sogar dem scharfen S (oder Eszett) eine eindeutige
semantische Regel gegeben, die zwar schön ist, aber dessen Abschaffung
für die Zukunft erschwert. ß verfügt jetzt, dass der
führende Laut lang gesprochen wird (z.B. Gruß, Fuß aber Kuss,
Genuss).
Seit 15 Jahren schreibe ich in eMails prinzipiell keine Umlaute. Zuerst, weil
es keine gab. Später, weil es keinen Grund gab, wieder welche zu
schreiben. Wenn auch heute Umlaute mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig
ankommen, gibt es keine Garantie dafür, dass meine Mail beim
Empfänger so aussieht, wie ich sie geschrieben habe. Selbst wenn, gibt
es sicher irgend einen Drucker im Firmennetz, der falsch konfiguriert ist und
Umlaute verhunzt oder wegschmeißt. Oder sie gehen bei einer
verkrypteten Speicherung verloren oder sonstwas. Kann mir keiner
erzählen, dass er sowas noch nicht gesehen hat. Es funktioniert einfach
nicht. Wie soll es auch? Umlaute existieren im Standard-7-bit-ASCII-Code
nicht. Um sie dennoch nachträglich zu definieren, hat man sich im Laufe
der Zeit einiges einfallen lassen.
DIN 66003 |
Umlaute wurden anstelle der eckigen und geschweiften Klammern definiert. |
ISO 8859-1 |
Definiert die deutschen Sonderzeichen im Rahmen der nationalen
Zeichensätze des ISO 8859. |
Quoted-Printable |
Nur Nicht-ASCII-Zeichen, z.B. dt.Umlaute, definiert in ISO 8859-1,
werden als Tripel kodiert. |
Base64 |
Alle 8-bit-Zeichen des ISO 8859 werden auf eine gemeinsame Untermenge der
ASCII-Zeichen reduziert. |
MIME |
Multipurpose Internet Mail Extensions - Kodierungsverfahren der verwendeten
Zeichensätze und Multimedia-Erweiterungen |
Unicode |
Versucht, das bisherige Wirrwarr von Zeichensätzen aller Art
zusammenzufassen. |
UTF-8 |
Unicode-Kodierung, benutzt 1 Byte für ASCII oder 2 bis 4 Byte für
Sonderzeichen |
HTML |
Hypertext Markup Language - Sonderzeichen werden durch ein spezielles
Quoting codiert, z.B. Ü für "Ü". |
All diese Verfahren haben letztlich dazu geführt, dass sich die Vielfalt
der Code-Umrechnungsvarianten und damit die Chance, dass was schief geht,
erhöht hat. Man kann zwar heute davon ausgehen, dass ein Zeichen im Netz
ordentlich transportiert wird und es beim Empfänger mit dem Code-Wert
ankommt, den der Absender abgeschickt hat. Was der Empfänger aber daraus
macht, bleibt weiterhin offen. Beispielsweise senden die tschechischen und
slovakischen Fernsehanstalten in ihren elektronischen Programmzeitschriften
(EPG) nationale Sonderzeichen. Das ist ihr gutes Recht, und es ist ihnen
völlig egal, dass ein normaler Satellitenempfänger dafür
Krikelkrakel ausgibt, weil er deren proprietäres Quoting nicht kennt.
Wo man auch hinschaut, es klemmt an allen Ecken und Enden. Mag einer
einwenden, dass Internet-Web-Seiten selbstverständlich Umlaute
können und SMS in Mobiltelefonen auch. Stimmt, aber da ist die
Technologie auch 10 Jahre jünger. Und es klappt ja auch nicht. Wie
war das bei ebay? Die Titelzeile darf keine HTML-Umlaute enthalten, sonst
sieht sie vielleicht so aus:
Bürotür mit Zubehör
Dass das mit den Umlauten nichts wird, haben ein paar Programmierer bereits
erkannt und das Problem auf ihre eigene Art kreativ gelöst. Hier ein
paar Beispiele (alles schon gesehen):
Juergen Gaertner
Jurgen Gartner
J*rgen G*rtner
J[urgen G[artner
Jrgen Grtner
J rgen G rtner
Jürgen Gärtner
Die Chancen, Umlaute im Deutschen als veraltet oder unmodern zu
erklären, standen Ende letzten Jahrhunderts, zu Zeiten der Diskussion um
die Rechtschreibreform, nicht schlecht, denn es war die Zeit der Explosion
des Internets. Wir sind beim Lesen von eMails, Formularen und Ausdrucken
aller Art förmlich auf das Problem gestoßen worden. Trotzdem hat
sich niemand ernsthaft Gedanken gemacht, Umlaute generell abzuschaffen.
Schade.
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